Wo es ein Oberndorf gibt, da gibt es in der Regel auch ein Niederndorf, und wo sich ein Städtchen Sommerhausen nennt, wähnt man in nicht allzu großer Ferne auch ein Winterhausen. Genauso ist es an der südlichen Mainschleife zwischen Ochsenfurt und Würzburg, wo der etwas sonnenverwöhntere (und bekanntere) Weinort Sommerhausen mit dem gegenüberliegenden Winterhausen um Aufmerksamkeit wetteifert. Das tut man auch auf kulturellem Gebiet. Freilich hat die sommerliche Seite dabei deutlich die Nase vorn, denn die beiden kleinen Theater, von denen hier die Rede sein soll, spielen beide auf der nordöstlichen Seite des Mains. Übrigens rühren die kuriosen Namen der beiden Ortschaften nicht von einer jahreszeitlichen Bevorzugung her, sondern von dem Umstand, dass der Sommerhäuser Kirchenpatron Bartholomäus seinen Geburtstag im Sommer hat, sein Winterhäuser Pendant Nikolaus jedoch im Winter.
Allerdings ist der offizielle Sitz des Theaters Sommerhaus in Winterhausen, genauer gesagt in der Kirchgasse 11. 2003 hat dort Brigitte Obermeier eine kleine Schauspielbühne gegründet. Das Theater war zunächst in einem Kellergewölbe unter dem Weinrestaurant Die Weinstube am Torturm am nördlichen Ortsausgang von Sommerhausen, nahe des Würzburger Tores, untergebracht. Das Gewölbe beherbergte bis 2001 die Kabarettbühne Bockshorn, die sich heute im Kulturspeicher Würzburg befindet. Der Pachtvertrag wurde aufgrund eines Besitzerwechsels zum 31. Januar 2014 gekündigt, weshalb sich die Spielstätte des Theaters aktuell im Bürgersaal des Rathauses von Sommerhausen befindet. Bisweilen gastiert das Theater jedoch auch im Bürgerhaus zu Winterhausen und in Würzburg (im Theater am Neunerplatz). Unbeschadet dessen geht die Suche nach einer anderen - und hoffentlich definitiven - Spielstätte in Sommer- oder Winterhausen weiter.
Die Spieltage des Theaters sind jeweils Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag immer um 20.00 Uhr. Nach dem Krieg der Geranien, einer schwarzen Komödie von Markus Beisel, die bis Anfang Juli lief, und der darauf folgenden Sommerpause, wird das Theater Sommerhaus am 23. September wieder mit dem neuen Saisonprogramm weitermachen. Zunächst steht mit Trennung für Feiglinge eine Komödie von Clément Michel an, gefolgt von einer Hommage an Anna Politkowskaja unter dem Titel Audienz im Kreml, die in Würzburg am Neunerplatz zu sehen ist. Danach geht es mit der Komödie Eine Stunde Ruhe von Florian Zeller wieder zurück nach Sommerhausen. Ab 16. Oktober steht mit Das Lächeln des Barracuda eine Komödie von Esther Vilar auf dem Programm, anschließend werden die genannten Stücke im Wechsel präsentiert, bis es am 11. November Die Dornröschendiät zu genießen gilt, ein „Comedy-Musical“ von Markus Beisel. Paul Maars Weihnachtsstück Klaras Engel wird ab 26. November in Winterhausen gezeigt.
Zwei Premieren stehen im Herbst an: ein bereits weihnachtliches Kinderstück ab 16. November, abermals im Würzburger Neunerplatztheater, und Heiße Zeiten ab dem 23.11. in Sommerhausen. In diesem Stück von T. von Blomberg und B. Arenz mit der innovativen Gattungsbezeichnung „Hormonical“ wird es wohl wirklich ziemlich heiß hergehen, denn vier Frauen in den Wechseljahren treffen sich – auf einen verspäteten Flieger wartend – und kommen ins Gespräch über nächtliche Schweißausbrüche, Heißhungerattacken, Gewichtszunahme und lustlose Ehemänner. Alles in allem ein „Klimakteriumskracher“, wie das Theater verspricht! Neben Christina von Golitschek, Sylvia Legner und Annette Patrzek wirkt übrigens auch die Prinzipalin Brigitte Obermeier mit, die nicht nur Theater- und Fernsehschauspielerin ist sowie Regie führt, sondern darüber hinaus oft als Sängerin auftritt.
Das Torturmtheater Sommerhausen ist zweifelsohne das traditionsreichere – die Kolleginnen von der Winterseite werden das neidlos anerkennen. Dieses winzige Kleinod, versteckt im Torbogen von Sommerhausens „Würzburger Tor“, darf als eine Besonderheit in Deutschlands Theaterlandschaft gelten. An diesem magischen Ort mutiert Theater zu einem privat anmutenden Erlebnis. 1950 wurde das Torturmtheater von Luigi Malipiero gegründet und seit 1976 durch den charismatischen Theatermacher Veit Relin zu überregionaler Bedeutung geführt. Heute leitet dessen Tochter, Angelika Relin, das Theater mit anhaltendem Erfolg. Hier kann man, auf seidenen Kissen in den wenigen Stuhlreihen direkt über der Straße im Turm sitzend, immer wieder neue und aufregende Stücke junger Autoren erleben, wobei für Heiterkeit, Skurrilität und bisweilen auch schwarzen Humor garantiert ist. Manches berührt ganz einfach nur, anderes geht richtig unter die Haut.
Die Saison des Torturmtheaters läuft in der Regel von April bis Dezember, wobei jeweils ein Stück zwei Monate lang in einem durchgespielt wird. Bis zum 30. Juli liefen unter dem Titel „Wenn ich was anderes machen würde, würde ich vielleicht nicht immer ans Geld denken“ drei schrille Einakter aus der Feder von Felicia Zeller, die man als einen irrwitzigen Abgesang auf den ganz normalen Wahnsinn im Konsumparadies verstehen konnte. Bizarr und trotzdem wahr! Ab dem 4. August (und bis zum 1. Oktober) läuft Philipp Löhlers Stück Wir sind keine Barbaren. Das Theater schreibt dazu: „Wie reagieren Sie, wenn mitten in der Nacht ein Fremder an Ihre Türe klopft? Würden Sie ihn aufnehmen? Barbara hat es getan, nicht nur für diese eine Nacht, und stößt damit bei ihrem Mann und den neuen Nachbarn auf Unverständnis. Wohlstandsängste und Faszination am Fremden prallen ungebremst aufeinander! Im Wechselbad verlogener Menschlichkeit gehen schließlich alle baden. Und plötzlich sind Barbara und der Fremde spurlos verschwunden…“. Tiefschwarzen Humor mit garantiertem Wiedererkennungseffekt verspricht das Torturmtheater, fügt aber hinzu: „Bitterböse Farce, gelacht wird trotzdem!“.
Vom 6. Oktober bis kurz vor Weihnachten wird als Herbstproduktion Das Abschiedsdinner von Matthieu Delaporte und Alexandre de la Patellière gezeigt, eine Komödie die, wie das Theater verspricht, „das Zwerchfell kitzelt“. Es geht um die Frage, was man sich als Alternative vorstellen könnte zu den öden Einladungen an Freunde, die man eigentlich zum Gähnen langweilig findet. Zu dem Pärchen, das man sich für ein „Abschiedsdinner“ auserkoren hat, kommt leider noch ein Dritter ins Spiel, der von der Idee überhaut nicht begeistert ist, und folglich geht der Abend gründlich schief. Das Ganze verspricht brodelnd zu werden, aber auch kurios und witzig. Und was die Freundschaftsbeziehungen betrifft, so ist das letzte Wort durchaus noch nicht gesprochen…
Das WildwuchsTheater Bamberg gehört zu jenen kreativen Newcomern, die seit einigen Jahren die Theaterszene Bambergs ungemein bereichert haben. Dass sie sich als eine „alternative Bühne“ in Bamberg verstehen, geschieht sicherlich nicht nur mit Blick auf den großen Platzhirschen in der Stadt, Bambergs traditionsreiches ETA-Hoffmann-Theater. Aber dass das Ensemble zuletzt eine Produktion vorgestellt hat – und in der kommenden Saison wieder aufnehmen wird – , die auf E.T.A. Hoffmanns berühmter Erzählung „Der Sandmann“ beruht, ist sicherlich auch kein Zufall. „Augen zu, der Sandmann kommt“ lautet die Devise dieser Inszenierung, die um Traum und Wirklichkeit ebenso kreist wie um Mensch und Maschine. Das Team von Wildwuchs schreibt das dazu: “Wenn der Sandmann kommt, schlafen die Kinder nicht friedlich ein, sondern sie verkriechen sich vor Angst unter der Decke. Ein künstlicher Mensch wird zum Leben erweckt und wandelt sich zum Objekt von Bewunderung und Liebe. Der Mythos des Sandmanns, der den Kindern die Augen raubt, begleitet den Studenten Nathanael schon sein ganzes Leben. Er ist letztlich auch verantwortlich für den Tod des Vaters, die Schwärmerei für den Automatenmenschen Olimpia und alles was schief geht in seinem Leben“. In dieser Inszenierung sollen die Unterschiede zwischen Mensch und Maschine verschwimmen. Der Wahnsinn setzt sich durch, und das romantische Schauermärchen beginnt seinen düsteren Siegeszug…
Das WildwuchsTheater wurde 2009 gegründet und kann sich auf einen Kreis von Kulturschaffenden stützen, der über 20 Kreativköpfe verschiedenster Provenienz zählt. Es gelang ihm, pro Jahr im Schnitt drei bis vier Inszenierungen bzw. Veranstaltungen auf die Beine zu stellen. Schwerpunktmäßig gastierte es bislang im Palais Schrottenberg, doch ebenso an anderen originellen Orten in der Stadt. „Der Sandmann“ wird in der Alten Seilerei aufgeführt, einem Ort kultureller Innovation, der als Folge der Umwandlung des ERBA-Geländes gewonnen werden konnte und sich mittlerweile großen Zuspruchs erfreut.
Der Blick auf die bisher erarbeiteten Produktionen zeigt, dass es dem WildwuchsTheater ebenso darauf ankommt, „Theaterklassiker“ wie Eugene Ionesco, Albert Camus, Samuel Beckett, Jean-Paul Sartre, Arthur Schnitzler oder Stefan Zweig zu präsentieren wie neue Autoren und neue Formate zu wagen. Der Anspruch der Theatermacher ist es, Probleme und Strukturen unserer Lebenswelt zu entdecken sowie Ausdrucksformen für alltägliche und/oder existenzielle Phänomene zu finden und diese einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen. Unabhängig von solchen konzeptionellen Überlegungen gibt es jedoch noch ein weiteres, viel simpler klingendes Motiv für die „Wildwüchsler“: einfach Theater machen!
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Sandmann, Foto © Pressefoto
Torturmtheater, Norman, Foto © Angelika Relin