Es ist eines der größten und bedeutendsten Treffen für zeitgenössisches Figuren-, Bilder und Objekttheater überhaupt, das von seinen Fans liebevoll „Figu“ genannte, biennal stattfindende Festival in den Städten Erlangen, Nürnberg, Fürth und Schwabach. Seit über vierzig Jahren wird es im Städteverbund unter maßgeblicher Federführung des Kulturamts Erlangen realisiert, schafft immer wieder die künstlerische Begegnung unterschiedlicher Sparten, das fruchtbare Aufeinandertreffen verschiedener Sichtweisen und Sehgewohnheiten zwischen kassischem Figuren-, Bilder- und Objekttheater und seiner Schnittstelle zu Tanz, Performance und neuen Medien.
2021 war das Festival aufgrund allseits bekannter Umstände erstmals in einer reinen Digitalausgabe zu erleben, einer abwechslungsreichen Leistungsschau innovativer digitaler Theaterformate, die es in dieser Vielfalt noch nie zu sehen gegeben hatte. Auch der öffentliche Raum wurde infolge der damaligen Einschränkungen mit kleinen Sonderformaten für wenige Zuschauer:innen in mehreren Miniaturfestivals neu bespielt. Diese inspirierende Beschäftigung mit alternativen Theaterformen soll fortgesetzt werden. So sind auch in diesem Jahr ausgewählte digitale Formate im Programm und vor allem in Erlangen werden Straßentheater-Künstler:innen die Stadt stark in das Festivalgeschehen einbeziehen. Die monumentalen Pappkarton-Architekturen, die das Team von Olivier Grossetête gemeinsam mit den Bürger:innen erschafft, versprechen beispielsweise spektakulär zu werden.
Neben diesen neuen Formaten ist das Festivalprogramm eine gewohnt aufregende und ausgewogene Mischung aus Klassikern und Avantgarde. Mit der französischen Compagnie 111 von Aurelièn Bory, die das Festival in Erlangen eröffnen wird, der regelmäßig faszinierenden Bildertheater- und Tanzkompanie Mossoux-Bonté, die diesmal in der Tafelhalle Nürnberg gastieren wird, den niederländischen Live-Kino-Spezialist:innen von Hotel Modern, die das Festival in Fürth mit einer Auseinandersetzung mit der eigenen Kolonialgeschichte eröffnen werden, mit dem Stuffed Puppet Theatre von Neville Tranter, dem Puppentheater Halle, Nico and the Navigators oder den wilden Theater-Anarchisten von half past selberschuld kann man sich auf einige Bekannte freuen. Auf der Suche nach experimentelleren Arbeiten, darf man auf die neuen Produktionen von Julian Hetzel und des O-Teams in Erlangen gespannt sein.
Zwar lag der Schwerpunkt des internationalen figuren.theater.festivals bisher in erster Linie auf zeitgenössischen Produktionen aus Europa. Um der aktuellen Auseinandersetzung um Kolonialismus und Dekolonisierung in Kunst und Kultur Rechnung zu tragen, werden in diesem Jahr unter dem Label #GlobalePerspektiven eine Reihe von Inszenierungen aus dem sogenannten „Globalen Süden“ in allen vier Festivalstädten zu sehen sein. Die Künstler:innen kommen unter anderem aus Kenia, der Demokratischen Republik Kongo, El Salvador, Mexiko, Uruguay, Indien, Syrien oder Afghanistan. Nicht alle werden aus ihrer Heimat anreisen, manche leben freiwillig oder unfreiwillig in Europa. Genauso wie die dem Festivalpublikum längst vertrauten Theatermaschinisten von Akhe aus Sankt Petersburg, die ihre Heimat aus politischen Gründen verlassen mussten und nun für Erlangen eine erste Produktion im Exil vorbereitet haben. Auch ein Treffen geflohener Puppenspieler:innen aus der Ukraine ist geplant. Für die Festivalmacher:innen bringt dieser Perspektivwechsel Wunsch und Chance mit sich, den kulturellen Horizont zu erweitern und ein Weltbild zu prägen, in dem privilegierte Weltanschauungen der Vergangenheit angehören. Das ist auf der Höhe der Zeit und wirft erneut die relevante Frage auf: Wie politisch darf und muss Theaterarbeit sein? Umso passender, ja fast ein dramaturgisches Augenzwinkern ist es da, dass zum Abschluss des Festivals in Erlangen das bedeutende Berliner Ensemble mit der wohl berühmtesten Puppenspielerin Deutschlands, Suse Wächter, „Brechts Gespenster“ zum Leben erwecken wird.
Jenseits des großen Bühnenprogramms ist mit einer Ausstellung unter dem Titel „Hin und Weg“ im Glasbau des Nürnberger Künstlerhauses eine Retrospektive zum bildnerischen Werk des 2021 verstorbenen Joachim Torbahn zu sehen, der gemeinsam mit Tristan Vogt dem international renommierten Nürnberger Kollektiv Thalias Kompagnons angehörte. Im ehemaligen Siemens Glaspalast in Erlangen wird die Installation „The Carrion Cheer, a Faunistic Tragedy“ des Künstlerduos Böhler&Orendt ausgestorbene Tiere in einer magischen Zeltstadt als Projektion auf Nebel neu zum Leben erwecken.
Das diesjährige 23. internationale figuren.theater.festival verspricht mit Auftritten von über sechzig Ensembles ein Mammutprogramm für Entdeckungslustige jeden Alters und jeder Herkunft. Ein Kurzprogramm liegt bereits aus. Der Relaunch der neuen Internetseite ist für Anfang April angekündigt, ebenso ein ausführlicher Festivalkatalog, der alle zentralen Informationen für Besuchende enthalten und an zahlreichen Kulturorten zu finden sein wird. Kartenvorverkaufsstart ist der 15. April.
Weitere Infos unter https://www.figurentheaterfestival.de/