Mittwoch, früher Nachmittag, in Regensburg angekommen.
Die unschwer erkennbare Mobilitätsachse Hauptbahnhof mit Busbahnhof und direkter, fußläufiger Anbindung zum Altstadtkern, führt unweigerlich durch die Fahnenallee, die als Empfangskomitee Spalier steht. Die gehissten Flaggen wehen stolz im verhaltenen Wind. Lotsen für die Sonderausstellung „Barock – Bayern und Böhmen“ des Haus der bayerischen Geschichte links, Promoter für die Regensburger Herbstdult, den Jahrmarkt der Stadt, wo sich Riesenrad und Kettenkarussell zu den Bierzelten gesellen, auf der rechten Seite. Die Platzhirsche sind gesetzt und, wie sich später herausstellen wird, zumindest teilweise, Pflichttermin der Stippvisite.
Information
Stippvisite meint einen spontanen 48-Stunden-Ausflug in eine Stadt. Eintauchen in deren Kultur, unvermittelt, von Zufall und Interesse geleitet. Den Puls der Stadt fühlen. Finden, was sich aufdrängt. Nach urbanen Trampelpfaden suchen. Mit Kulturschaffenden sprechen. Schönheit heben. Entspannung leben.
Vom ersten Eindruck an bewegt sich in Regensburg eine vielfältige Gesellschaft in facettenreicher Manier. Sie entpuppt sich als ausgesprochen weltoffen und international. Und dabei in weiten Teilen traditionsbewusst, modisch gern auch bayerisch-folkloristisch, aber bei weitem nicht nur. Von Punk bis Pomp reicht der Laufsteg der pittoresken Innenstadt. Bunt das Volk, bunt die Gebäude. Teils schlicht in Architektur und Gewand, teils reichlich verziert und aufgetakelt.
Die Stadt, als römisches Heerlager gegründet, im Mittelalter in stolzer Blüte und Funktion, ist sich seiner historischen Meilensteine bewusst und zeigt dies auch. Nicht nur im weitgehend unzerstörten, beeindruckend erhaltenen Stadtbild des historischen Kerns, auch und vor allem in zahlreichen musealen Lernorten, die die Geschichte Regensburgs zum Hauptthema oder wichtigen Nebenschauplatz machen und ihren historischen Glanz und Reichtum eindrücklich erklären. Am nördlichsten Punkt der Donau gelegen, stand Regensburg mindestens zweimal im Mittelpunkt der europäischen Geschichte. Einmal unter dem römischen Kaiser Marc Aurel und viele Jahrhunderte später als mittelalterliche Handelsstadt und politisches Zentrum. Beide Epochen stecken heute im prominenten, doppelten Titel als Welterbestätte der UNESCO.
Im Besucherzentrum Welterbe, im Salzstadel, direkt an der Steinernen Brücke, wird dies eindrücklich hinterlegt und in das Gesamtgefüge der UNESCO eingebettet. Die Ausstellung umfasst fünf Themenbereiche: UNESCO-Welterbe, Vom Römerlager zur modernen Stadt, Stadt am Fluss – Stadt im Fluss, Leben in der Stadt und Stadt der Reichstage lauten die Titel des informativen Hotspots, der an den relevanten Stellen seiner Exposition zu weiteren Museen und Originalschauplätzen einlädt.
Seit 2006 ist Regensburg mit Stadtamhof UNESCO-Welterbestadt. Die mittelalterliche Handelsstadt hat heute noch über 1.000 Einzeldenkmäler zu verzeichnen und ist damit die am besten erhaltene mittelalterliche Großstadt in Deutschland. Ihre römischen Wurzeln fanden, in Form des Donaulimes, 2021 ihren Weg auf die Welterbeliste der UNESO. Architektonisch sichtbar wird das an den römischen Mauern der mittelalterlichen Handelsstadt. Mit der Porta Praetoria haben sich Reste des Legionslagers Castra Regina erhalten. Die Relikte des Nordtors haben sich als markante Einbauten in die Mauern des Bischofhofs beim Dom St. Peter bewahrt.
Information
Besucherzentrum Welterbe Regensburg im Salzstadel
Weiße-Lamm-Gasse 1
93047 Regensburg
Öffnungszeiten: Täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr
Das Historische Museum im ehemaligen Minoritenkloster erläutert weit darüber hinaus reichend die regionale Kunst- und Kulturgeschichte von der Steinzeit bis zum 19. Jahrhundert und ergänzt Wissenswertes über Regensburg auch jenseits seines Welterbestatus, zeigt das Leben im Welterbe auf verschiedene Weise auf.
Auch die Dauerausstellung im Haus der bayerischen Geschichte enthält einige Hinweise zur Stellung Regensburgs im gesamtbayerischen Gefüge. Als Museum für bayerische Geschichte reicht es allerdings weit über die Grenzen Regensburgs hinaus.
Im großzügigen Innenhof empfängt der bayerische Löwe die Besucher:innen unter dem gläsernen, bayerischen Rautendach und stellt sich vor. Als erste Anlaufstation des Museums lädt das beachtlich dimensionierte, multimediale Museumspanorama zu einem „süßen“ Auftakt. Christoph Süß mimt Protagonisten und Nebenrollen in bekannter Manier und ersetzt seine Schildbürgergeschichten und Politdramen durch eine kurzweilige Einleitung zur bayerischen Geschichte im Lichte namhafter Persönlichkeiten. Er geht darin ebenso auf die Rolle Regensburgs ein. Und legitimiert die Standortwahl für das noch recht junge Landesmuseum gleich mit. Der „History Talk“ nimmt die Meilensteine der bayerischen Geschichte vorweg und bettet Regensburg unter anderem als Sitz des Reichstags und Auftaktort zur Barockisierung Bayerns darin ein. Der kurzweilige Film überträgt die Epochen bayerischer Geschichte auf die großzügige und imposante 360-Grad-Leinwand.
Nach der kurzen Einführung führt die lange, akustisch untermalte Rolltreppe hinauf zur Dauerausstellung. Die „Geschichte weiß-blau – von 1800 bis heute“ macht erlebbar, wie Bayern Freistaat wurde und was ihn so besonders macht. Auf über 2.500 m2 wird den Besucher:innen in den Kapiteln „Bayern wird Königreich“, „Wird Bayern Nation?“, „Königsdrama Ludwig II.“, „Bayern wird Mythos“, „Weltkrieg und Freistaat“, „Diktatur – Katastrophe – Neubeginn“, „Wiederaufbau – Wirtschaftswunder“, „Wendejahre“ und „Was bestimmt Gegenwart und Zukunft?“ die Geschichte Bayerns vermittelt. Die Genese und Bedeutung der Bayerischen Verfassungen zeigt eindrucksvoll den politischen Pioniergeist Bayerns hinsichtlich der Entwicklung bürgerlicher Rechte. Sie ist das augenfälligste Phänomen Bayerns in dieser Hinsicht, bei weitem aber nicht das einzige. Die Ausstellung insgesamt strotzt nur so vor Stolz und lässt kein Aushängeschild bayerischer Geschichte und Kultur aus. Setzt vielmehr hohe Aufmerksamkeit auf die starken Kapitel der bayerischen Geschichte, auf die Alleinstellungsmerkmale des Landes, aber auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Freistaats zu verschiedenen Zeiten sowie seine europäische Dimension in vielerlei Hinsicht. Und geht gleichzeitig kritisch mit politisch schwierigeren Kapiteln um.
Für Abwechslung sorgen die acht „Kulturkabinette“, die den sonst chronologischen Rundgang thematisch gezielt aufbrechen, um Bayerns kulturelle Besonderheiten in den Fokus zu rücken. Die Klanginstallation zum Themenfeld „Dialekte“ beispielsweise zeigt die sprachliche Variabilität der Bayern eindrucksvoll an Hörstationen und Touchscreens. Im Architekturmodell wird bayerische Architektur gefasst, von Bierzelt bis Schloss Neuschwanstein. Der bayerische Fußball wird in einem Mini-Stadion zelebriert und facettenreich an Olympia 1972 in München erinnert. Ein Kabinett widmet sich den 2056 Gemeinden Bayerns mit ihren Ortschaften und präsentiert die Vielfalt Bayerns tiefenscharf. Schnell vergeht die Zeit in der abwechslungsreichen Ausstellung, für die die Besucher:innen wenigstens zwei, besser mehr Stunden einplanen sollten.
Information
HAUS DER BAYERISCHEN GESCHICHTE – Museum
Donaumarkt 1
93047 Regensburg
Dauerausstellung
Di – So von 9.00 bis 18.00 Uhr
Montag geschlossen
Erwachsene 7,00 Euro
Ermäßigt 5,00 Euro
Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre: Eintritt frei
Studierende unter 30 Jahre: Eintritt frei
Mitglieder Freundeskreis Haus der Bayerischen Geschichte: Eintritt frei
www.museum.bayern
Geschichte in Hülle und Fülle breitet sich dem Regensburg-Besucher unvermeidbar unter seinen Füßen aus, sobald er die Stadt betritt und bis er sie wieder verlässt. Im Reigen der musealen Angebote bieten sich unter dem Titel „documente“ ausgewählte authentische historische Orte an, die im Rahmen von Führungen zugänglich sind. So beispielsweise das „Document Neupfarrplatz“, das nach einer umfangreichen archäologischen Grabung die Schichten der Stadtentwicklung von der Römerzeit bis ins 20. Jahrhundert präsentiert. Darin auch die Zeugnisse des Jüdischen Viertels aus dem Mittelalter. Oder das „Document Schnupftabakfabrik“, das aus drei weitgehend original erhaltenen Räumen der ehemaligen Schnupftabakfabrik Bernard aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert besteht, die in einem mittelalterlichen Patrizierhaus untergebracht sind. Das „Document Reichstag“ zeigt die historischen Räume des Alten Rathauses und das „Document Kepler“, das sich im weitgehend original erhaltenen Sterbehaus des Mathematikers und Astronomen befindet, ist Keplers Leistungen in der Naturwissenschaft und seinem Bezug zu Regensburg gewidmet.
Der Besuch zum Tag des offenen Denkmals entpuppte sich als darüberhinausgehende Einladung historische Orte kennenzulernen, die dem geneigten Publikum sonst verschlossen bleiben. Das Programmheft fasst über 60 solcher Orte, die interessant zwischen dem Geist ihrer Zeit und dem heutigen Zeitgeist changieren und unterstreicht den starken Denkmalcharakter der Stadt einmal mehr.
Ausreißer im historischen Gefüge der Welterbestadt und jüngster Zuzug ist ein augenscheinliches Highlight der Regensburger Museumslandschaft. Denn in die Weiße-Hahnengasse, in die alte Stallung, ist dieses Jahr das Dackelmuseum eingezogen, das zuvor fünf Jahre lang in Passau seine Tore öffnete. Die Idee für das Museum ist aus einem Souvenir-Laden heraus geboren, dessen Verkaufsschlager Dackelfiguren in allen Varianten waren. Die private Sammlung zeigt gegenwärtig 5.000 Exponate aus dem 30.000 Stücke umfassenden Archiv. Die Sammlung wurde von den beiden Passauer Floristmeistern Seppi Küblbeck und Oliver Storz über 25 Jahre zusammengetragen. Dackel in aller Manier und aus allen Materialien: Plastik, Metall, Porzellan. In liebevoll gestalteten Themenfenstern sind Dackel zu finden, soweit das Auge reicht. Auch prominente Dackel finden Erwähnung. So der Tatort-Dackel von Gustl Bayrhammer oder das Maskottchen „Waldi“ von Olympia 1972 in München. Neu konzipiert wird gerade die Vitrine zum Thema Weihnachten, die rechtzeitig zu den Feiertagen Neulinge wie Wiederholungstäter in das zauberhafte Themenmuseum lädt.
Information
Dackelmuseum:
Weiße-Hahnengasse 3/5
93047 Regensburg
Öffnungszeiten: Täglich von 10.00 bis 17.00 Uhr
www.dackelmuseum.de
Den Spagat von der geschichtsträchtigen zur kunstträchtigen Stadt liefert dann das Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg. Es verwahrt Kunst von der Romantik über die Klassische Moderne bis zur Gegenwart und steht damit unter einem sehr speziellen Fokus: Das künstlerische Schaffen mit historischem, biografischem und inhaltlichem Bezug zu den ehemals deutsch geprägten Kulturräumen in Osteuropa. Die Sammlung wurde 1966 begründet. Sie ist aufgrund des Schwerpunkts vielseitig aufgestellt und enthält beispielsweise Werke von Lovis Corinth, Markus Lüpertz, Ludwig Richter, Käthe Kollwitz oder Katharina Sieverding. Die aktuelle Sammlungsschau, momentan aufgrund von Bauarbeiten nur eingeschränkt sichtbar, steht unter dem Motto „Woher kommen wir, wohin gehen wir?“. Der Rundgang durch zehn Ausstellungsräume speist sich aus dem gesamten Spektrum der Sammlung und thematisiert jeweils spezifische Orte wie Stätten historischer Ereignisse, geografischen Reizes (z.B. Ostseeküste, Landschaften Italiens), künstlerischen Austausches (z.B. Danzig und Königsberg, Prag als Zentrum der Prager Sezession, Breslauer Akademie für Kunst- und Kunstgewerbe, Goldene Zwanziger im Osten der Weimarer Republik) oder fiktiver Setzung (z.B. Traum- und Alptraumszenen, innere Bilder und Visionen). Neben der Schausammlung sind wechselnde Sonderausstellungen zu sehen. Im Kuppelsaal finden sich Werke der Preisträger:innen, die mit dem Lovis-Corinth-Preis ausgezeichnet wurden. Darunter Daniel Spoerri, Alexander Camaro, Gerhard Schultze, Sigmar Polke oder Karl Schmidt-Rottluff.
Information
Kunstforum Ostdeutsche Galerie
Dr.-Johann-Maier-Str. 5
93049 Regensburg
Di–So von 10.00 bis 17.00 Uhr
Do von 10.00 bis 20.00 Uhr
Eintritt 6,00 Euro, erm. 4,00 Euro
www.kunstforum.net
So speziell und ergiebig, wie die Ostdeutsche Galerie, zeigt sich Regensburgs Kunstengagement insgesamt, das nur geringfügig hinter die Vielfalt historischer Schauorte zurückfällt. Zahlreiche Kunstvereine, wie der Kunst- und Gewerbeverein Regensburg und der Neue Kunstverein Regensburg, nennen die Donaumetropole ihr zu Hause. Dazu kommt die Städtische Galerie im Leeren Beutel, der KunstvereinGRAZ e.V. und der Berufsverband Bildender Künstler. Mit dem donumenta e.V. hat die Kunst im öffentlichen Raum ihren prominenten Verfechter vor Ort. Das vielfältige, vereinsgebundene Ausstellungsbestreben ist eingebettet in Kunsträume als Zwischennutzung oder Popup-Möglichkeit, beispielsweise im Degginger oder im Kulturraum M26 – Maximilianstraße 26, wo Künstler:innen sich günstig einmieten oder zu Ausstellungen geladen werden. Dem kunstinteressierten Publikum bietet sich eine große Bandbreite und Vielfalt der bildenden Künste und Gegenwartskünste, in dessen Reigen sich eine vitale Galerist:innen-Szene auffällig und gut erkundbar einreiht.
So sind es vor allem Geschichten mit Geschichte und von der bildenden Kunst, die uns bei unserer Stippvisite in Regensburg in ihren Bann ziehen und Stärke wie Vielfalt in diesen Genres unter Beweis stellen. Und wir sind sicher, hinter den alten Gemäuern der Welterbestadt ist noch jede Menge mehr zu finden. Erzählungen zur Donaudampfschifffahrt in etwa, Theater, Konzerte der Regensburger Domspatzen, Festivals für Tanz oder Jazz oder die Kunstsammlungen des Bistums Regensburg, der Domschatz sowie der Dom St. Peter selbst, reich an sakralen Kunstschätzen. Wir heben sie uns für das nächste Mal auf, wenn wir in das schöne Regensburg fahren, das uns mit Leichtigkeit 48 informative, abwechslungsreiche Stunden in wunderbarer Atmosphäre geschenkt hat, die allerdings bei weitem nicht genügen, um der Kulturmetropole an der Donau auch nur in die wichtigsten Kapitel seiner Kunst und Geschichte zu blicken. Der erste Eindruck war famos und schreit ganz laut nach einer baldigen Fortsetzung.