Kürzlich wurden in verschiedenen Presseorganen die Gründe erörtert, warum der ersehnte Zuzug von Fachkräften einfach nicht klappen will. Neben dem üblichen Gejammere über Bürokratie und Wohnungsmangel stach ein Argument hervor, das hellhörig macht. Eine durchaus einwanderungswillige Fachkraft aus Südamerika gestand jüngst, dass sie an der deutschen Sprache scheitere. Hauptgrund: die Komposita, also die Manie, mehrere Wörter miteinander zu verschmelzen.
Das ist in der Tat eine Verkomplizierung der Sprache, die typisch deutsch ist. Wo in anderen Sprachen einzelne Elemente durch Artikel, Präpositionen, Relativsätze o.ä. getrennt bleiben und so kenntlicher sind, neigen wir zu imposanten Zusammenballungen, die bisweilen beängstigende Ausmaße annehmen.
Klassisch und jedem bekannt ist die „Donaudampfschiffahrts…“ usf.. Aber die offenkundig urgermanische Wortverklebungsmanie bleibt auch heute noch brandaktuell, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es manchen Leuten eine geradezu diebische Freude macht, stets neue Komposita zu erfinden. Begreiflich also, dass die erwähnte Südamerikanerin den Umzug in deutschsprachige Gefilde verweigert, denn die Wortungetüme sind nicht nur schwierig zu lesen, sondern sperren sich auch mündlichem Verständnis.
Schon mal was von „Veränderungserschöpfung“ gehört? Ich bislang auch nicht. Ebenfalls en vogue sind „Veränderungsangsthasen“. Nett finde ich die „Eifersuchtsferngläser“, denn sie veranschaulichen deutlich die Neugier auf das, was bei Nachbars so los ist. Auf meinem Tisch steht morgens ein „Eierschalensollbruchstellenverursacher“. Sehr nützlich, aber schwierig zu bestellen.
Die Invasion der bösen Wölfe hat dazu geführt, dass es immer mehr „Wolfserwartungsland“ gibt. Eine Warnung wie „Die Wölfe kommen“ wäre einfacher und auch für radebrechende Deutschsprecher verständlicher. Niemand geht so virtuos und kreativ mit den Komposita um wie die Juristen. Neulich machte angesichts eines Karlsruher Urteils der „Strafklageverbrauch“ die Runde. Politisch aktuell ist der „Gefangenensolidaritätsnetzwerkkordinator“ – kein Witz!
Putzig wird’s, wenn politisch-soziale Angebote verbreitet werden. Da gibt es mittlerweile eine „Mitmachpartei“, einen „Starkmachkurs“ oder den „Kindermitbringtag“. Mein neuester Favorit ist das „Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz“; das existiert tatsächlich, ist also keine Erfindung. Beim Versuch, dieses Wortungetüm ins Englische oder Französische zu übersetzen, wird man zwangsläufig scheitern. Am Ende des Oktoberfest soll heuer eine „Restschankzeitverlängerung“ geplant gewesen sein. Gute Idee, aber einfacher wäre ein „länger saufen“ gewesen – und ehrlicher.