Bukowski, Charles Bukowski, Mitte August 1920 in Andernach – dem rheinland-pfälzischen Städtchen, dem auch der richtungsweisende Kunsthistoriker und Medientheoretiker Hans Belting und der Romancier Jan Wagner entstammen – als Heinrich Karl Bukowski geboren, ist derzeit in aller Munde. An sein Ableben vor zwei Dekaden in Los Angeles erinnert beispielsweise das Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg, das noch bis in den Januar hinein die Ausstellung „All about Hank“ in vier Räumen beherbergt. Kuratiert hat sie, gemeinsam mit Michael Hehl, dem Leiter der 1977 von dem gebürtigen Sulzbacher und „Akzente“-Herausgeber Walter Höllerer eröffneten Institution, die Bamberger Bukowski-Koryphäe Roni. Es ist die erst dritte Bukowski geltende Werk- und Lebensschau überhaupt und, von einer Ausstellung 1996 in London abgesehen, die erste auf dem europäischen Kontinent.
Auch wenn Bukowski noch immer der Ruf des Hurenbocks, des unermüdlichen Trinkers und Spielers (er wettete gern auf Pferde) anhaftet, gehört er längst zu den Großen nicht nur der angloamerikanischen Literatur. In der Huntington Library, einer der bedeutendsten Forschungsbibliotheken weltweit, steht sein Nachlass Seite an Seite mit Gutenbergs Bibel, mit Geoffrey Chaucer, mit zwei Quarto-Ausgaben des „Hamlet“, mit James Audobon und Henry David Thoreau. Das kommt einem Ritterschlag gleich. Völlig zu Recht. Die Lektüre von Boccacios „Decamerone“ hat Bukowski ebenso geprägt wie die der Romane Dostojewskis oder der von Célines „Voyage au bout de la nuit“ von 1932. Auch in Sachen Musik war er beschlagen, obgleich er nichtmals Klavier spielte – Bilder, die dies nahelegen, sind gestellt – denn er hörte ständig Klassik im Radio und las Musikerbiographien, war mit Bach, Schumann, Chopin, mit Mahler vertraut. Bei dem übrigens enorm produktiven Schriftsteller – sechs Romane, Hunderte von Kurzgeschichten, Tausende von Gedichten – und dessen literarischem Double Hank Chinaski (bekannt aus dem Film „Barfly“, 1987, wo er von Mikey Rourke verkörpert wird) geht es eben um weit mehr als um Sex und Suff.
Roni, der bei Heinz Gockel an der Otto-Friedrich-Universität Literaturwissenschaft studierte, hat das schon früh erkannt. Zu Bukowski gekommen, sagt der Bamberger, sei er wie Viele, während der Jugendzeit: „Indem ich ihn einfach gelesen habe.“ Von Anfang an aber habe er „diese tiefere Dimension bei ihm“ gesehen. Er habe sich den antibürgerlichen Werten der Gesellschaft verwandt gefühlt. Bukowskis pessimistisches Welt- und Menschenbild habe ihn schnell angesprochen. Und da Roni den „nichtpubertären Zugang“ zu Hank gehabt habe, habe er auch „hinterher locker dabei bleiben“ können statt sich, wie andere, in den Zwanzigern von seinem Idol zu verabschieden. Ganz bescheiden bekennt Roni, der auch einen umfangreichen Fan-Shop betreibt: „Ich gehöre wohl zu den zehn führenden Bukowski-Experten in Deutschland. Aber ich wüsste nicht, wer die neun sein sollten, die vor mir sind.“
Das stimmt zweifellos, denn wie sonst hätte der S. Fischer Verlag Roni den Auftrag erteilt, die erste von einem Deutschen verfasste Hank-Bio zu schreiben? Das Frankfurter Haus hat Bukowski in seine „Klassiker“-Reihe aufgenommen, mit Lesebändchen und Titelillustration von Robert Crumb. Und, jedenfalls bei der Neuausgabe der „Aufzeichnungen eines Dirty Old Man“, versehen mit einem 20-seitigen Nachwort von Roni. Der musste durch die intensive Arbeit an der Ausstellung in Sulzbach-Rosenberg die geplante Biographie zunächst einmal hintanstellen.
Zu „All about Hank“ wird ein Katalog erscheinen, der auch Interessierte, die die Ausstellung nicht sehen konnten, ansprechen soll. Statt, wie das allzu oft geschieht, die Schau allein an Lernzielen und quasi mit dem erhobenen (auch: scheinbar erhabenen) pädagogischen Zeigefinger auszurichten, haben Roni und Hehl die Frage, warum gerade dies oder jenes gute Stück noch gezeigt werden solle, mit einem einfachen: „Weil es geil ist!“ beantwortet. Zu den Kostbarkeiten zählen, neben dem offiziellen Beerdigungskärtchen und weiteren Kuriosa, Fotos, die der Freiburger Michael Montfort, Freund und treuer Begleiter des Portraitierten, über Jahrzehnte hinweg gemacht hat.
Die Rezeptionsgeschichte lässt sich nachvollziehen anhand selbst kleinster Literaturzeitschriften. Bei Rolf-Dieter Brinkmann und zumal bei Jörg Fauser hat Bukowski Spuren hinterlassen. Verbunden ist der frühe [bju:k] – so nennt sich das Jahrbuch der Charles-Bukowski-Gesellschaft – hierzulande vor allem mit zwei Namen. Carl Weissner hat den gar nicht so „dirty old man“ ins Deutsche gebracht, Benno Käsmayr hat ihn in seinem Augsburger Maro-Verlag publiziert. Und neuerdings das von Roni, dem Vorsitzenden der Gesellschaft, edierte Jahrbuch in den Vertrieb genommen. Die jüngste Dreifachnummer, zu deren Lektüre nur geraten werden kann, ist dem Andenken Weissners gewidmet. Der Mannheimer verstarb, völlig überraschend, am 24. Januar 2012. Nicht ganz achtzehn Jahre nach seinem Weggefährten, dem Andernacher Heinrich Karl Charles Hank [bju:k] Bukowski.
Copyright Fotos: © Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg