
Man stelle sich vor, in einem Gespräch über Vorlieben oder Hobbys den eigentlich harmlosen Satz „Jedem das Seine“ fallen zu lassen. Das könnte zu versteinerten Mienen führen, aus verständlichen Gründen, denn dieser Satz prangt bekanntlich in seinem unfassbaren Zynismus am Eingangstor des Konzentrationslagers Buchenwald. Eine banale, leicht joviale Aussage kann also situationsbedingt bedenkliche Assoziationen zeitigen. Deshalb besser nicht verwenden, genauso wenig wie das Wort „Führer“, das uns aus gutem Grund schon seit über 70 Jahren kaum noch über die Lippen kommt.
Noch evidenter ist die Lage bei der perversen Begrüßung, die sich Nazi-Schergen für Auschwitz ausgedacht hatten: „Arbeit macht frei“. Diesem ebenfalls eher trivialen Satz könnte man unter anderen Umständen bedenkenlos zustimmen, denn natürlich ist man unabhängiger und damit freier, wenn man Arbeit hat. Dass die beiden Sätze dennoch so toxisch geworden sind, liegt einzig und allein an der zynischen Umdeutung ihres eigentlich trivialen Sinnes durch die Nationalsozialisten.
So unbestritten die beiden genannten Sätze zu Tabus werden mussten, so berechtigt dürfen freilich die Zweifel daran sein, ob es auch statthaft ist, deren Teilelemente gleich mitzutilgen. Einen solchen Versuch hat Charlotte Knobloch von der Jüdischen Gemeinde Münchens neulich mit Erfolg durchgebracht. Der von ihr inkriminierte Titel „Stadtluft macht frei“ der Bayerischen Landesausstellung 2020 wurde von einem vorauseilend gehorsamen Kunstminister Sibler umgehend abgeändert in „Stadt befreit“.
Man stelle sich nur vor, die Teilaussage „macht frei“ müsste gänzlich aus der deutschen Sprache verbannt werden, nur weil phantasievolle Empfindlichkeiten stets auf der Konnotation mit Auschwitz beharren. Es gibt noch andere Ausdrücke, die, weil kontaminiert, der Alltagssprache verlustig gehen könnten, z.B. „zersetzen“, das neuerdings inkriminiert wurde, weil es an die „entartete Kunst“ erinnert. Die Liste ist lang, und wer mit dem Stigma der deutschen Muttersprache auf die Welt gekommen ist, sollte sich bei deren Gebrauch mehr denn je vorsehen.