Abnehmende Besucherzahlen, aber auch die Überalterung bei klassischen Konzerten, sowie auch die zunehmende Reduzierung musischer Fächer in Lehrplänen, bereiten so manchem Veranstalter, aber auch Musikerinnen und Musikern Sorgen. Kinder kommen oft gar nicht mehr wirklich direkt mit Musik in Kontakt, zudem wird zuhause auch immer weniger miteinander gesungen oder musiziert, so die Einschätzung von Fachleuten. Der Ruf nach Musikvermittlungsprogrammen wird da schnell in die Runde geworfen. Wie kann man Kinder und Jugendliche mit klassischer Musik oder auch Jazz in Berührungen bringen, sie für Musik im Allgemeinen interessieren? Die Wege, um Brücken zu bauen, sind dabei ganz unterschiedlich.
Wachsen Kinder in musiknahen Haushalten auf, geht das meist etwas einfacher, dennoch, so die Überzeugung des Pianisten Frank Dupree, sollten alle Kinder die Chance haben, mit Musik groß zu werden, sie zusammen mit anderen zu erleben. Daher engagiert sich der 31-jährige, wie viele andere Profi-Musiker auch, seit langem beim Projekt „Rhapsody in School“, das seit 2005 ganz gezielt den Kontakt zwischen Künstlern, Lehrern und Schülern fördert. Jede Schule kann sich auf der Homepage des Projektes für den Schulbesuch eines Musikers oder einer Musikerin bewerben. Meist geht dies in Verbindung mit einem Auftritt vor Ort oder in der Nähe einher, so dass die Klassen dann auch Konzerte oder eine Probe besuchen können. Über die persönliche Begegnung soll das Interesse am jeweiligen Instrument, aber parallel auch an der Musik selbst geweckt werden. Ziel ist es, möglichst viele Kinder auf einer niederschwelligen Ebenen erreichen zu können. Viele bekannte Profimusikerinnen und -musiker stehen auf der Rhapsody-in-School-Liste. Der Klassik- und Jazzpianist Dupree weist aber auch darauf hin, dass das Engagement rein ehrenamtlich erfolgt. Trotz der zusätzlichen Belastung, neben dem normalen Arbeits- und Konzertablauf, ist es ihm und seinen Kollegen ein Anliegen, den jungen Leuten die Freude an der Musik zu vermitteln. Ein bis zwei Schulstunden, anstelle des normalen Unterrichts, stünden da zur Verfügung, um einander kennenzulernen, Instrument und Musik vorzustellen, miteinander Lieder zu singen oder im besten Fall auch miteinander zu musizieren. Die jungen Menschen lernen dabei noch viel mehr, etwa Teamfähigkeit oder andere sozial-gesellschaftlich relevante Verhaltensweisen. Der Austausch mit den Kindern und Jugendlichen, besonders auch über deren Musikgeschmack, eventuell auch eigene Musikerfahrungen, gehört für ihn ebenso dazu. Was ist Musik, wie wird sie überhaupt produziert, sind Fragen, die dabei zur Sprache kommen. Dupree will „Köpfe öffnen“, für verschiedene Musikarten, aber auch zeigen, dass diese sich nicht zwangsläufig ausschließen müssen. Dennoch sieht er es problematisch, dass viele Kinder Musik nur aus dem Internet kennen, oft gar nicht wissen, dass diese auch nicht immer von echten Musikern gemacht wurde. Mit Live-Musik hatten viele von ihnen bisher oft keinerlei Erfahrungen gemacht. „In der Schule“, sagt er, „prallen manchmal auch unterschiedliche Kulturen und Musikrichtungen aufeinander.“ Das sei auch für ihn spannend, etwa dann, wenn eines der Kinder ein Instrument mitgebracht hat, das er noch nicht kennt, etwa aus einem anderen Kulturkreis. „Da bin ich dann derjenige“, sagt er lachend, „der dann neugierig wird.“
Auch viele Orchester engagieren sich im Bereich von Education-Programmen, geben beispielsweise kommentierte Konzerte. Für die Mitglieder des Münchner Rundfunkorchesters gehört das zu den festen Aufgaben. Peter Schlier, stellvertretender Solo-Kontrabassist des Orchesters, betont in diesem Zusammenhang, wie wichtig Musik und miteinander musizieren auch für die Förderung des allgemeinen Denkvermögens ist, wobei er Musik generell als notwendig sieht, ohne sich allein auf Klassik zu beschränken. „Wir erfüllen damit auch einen Bildungsauftrag“, sagt er. Die Kinder, so Schlier, müsse man beim Besuch ernst nehmen, ihnen nicht von oben herab begegnen, dann hören sie auch zu und bringen sich ein.“ Bei ihm dürfen die Schüler das große Saiteninstrument auch beim Klingen erspüren. Meist gehen mehrere Musiker, etwa mit unterschiedlichen Streichinstrumenten, in eine Schule, sind parallel in unterschiedlichen Klassen zu Gast. Am Ende gibt es dann für alle zusammen gemeinsam, aber auch für die Lehrkräfte, in der Aula ein kleines Konzert. Toll findet es der Musiker, wenn dann auch noch andere Schüler oder Lehrkräfte einfach stehen bleiben. Im Allgemeinen horchen die Kinder dann „ihren“ Musikern recht aufmerksam zu, nehmen dieses Erlebnis mit in den Alltag hinaus.
Kinder sind normalerweise neugierig, sagt auch David Hanke, der neue künstlerische Leiter der Würzburger Meisterkonzerte, was er und seine drei Brüder bei den gemeinsamen Familienkonzerten als Hanke Brothers auch nutzen. Man könne die Aufmerksamkeit von Kindern, ergänzt er, gut lenken, etwa auf ein einzelnes Instrument hin. Spaß soll das machen, die Kinder einladen, klassische Musik, besser noch Musik im Allgemeinen als etwas tolles und Spannendes zu erleben. Kinder nur zu bespaßen, hält er nicht für einen geeigneten Ansatz. Auf spielerischem Weg, die Vielfalt klassisch basierter Musik oder auch unterschiedlicher Instrumente erlebbar zu machen, wäre ein stimmiger Weg. Möglich wäre es bei Familien- und Kinderkonzerten etwa, visuelle Impulse als Brücke einzubauen. Nicht zu viel, aber gerade so, dass Musik und Bewegung ein Bild ergeben, das in den Köpfen bleibt. Dass das funktioniert, setzt voraus, dass man ohne Notenständer auswendig spielen kann, flexibel mit seinem Instrument sowie den Bühnenkollegen umgehen kann. Die Hanke Brothers gehen gerne auch in Schulen, um Kinder neugierig auf Musik zu machen. Immerhin sind die Kinder von heute eventuell auch das Publikum von morgen.
Formate für Kinder, Jugendliche sowie die ganze Familie, gibt es zahlreich. Meist sind dies Projekte, bei denen auch die Erwachsenen im Vorfeld aktiv werden müssen. Etwa derart, dass sie die Angebote erst einmal wahrnehmen und dann auch einen Besuch überhaupt für wichtig halten. Eintrittspreise oder auch die Entfernung könnten da Probleme bereiten.
Auch viele Musikfestivals bieten im Rahmen ihrer Programme so genannte Workshops für Kinder und Jugendliche an. So hat etwa die Bachwoche Ansbach schon seit Jahren die Reihe „Bach entdecken“ im Angebot. Workshops für unterschiedliche Altersgruppen, auch schon für die ganz Kleinen, führen den Nachwuchs gezielt an die Musik von Johann Sebastian Bach heran. Body-Percussion zur Bach-Fuge und im Anschluss daran einen Ausflug zur großen Wiegleb Orgel in die St.-Gumbertuskirche. Nur ein Beispiel aus dem Kursangebot, hier für die jüngsten Jahrgänge. Und die hatten einen Riesenspaß. Dekanatskantorin Ulrike Walch erklärte neben anderem, welche Pfeifen in diesem Instrument stecken und wie sie funktionieren. Sehr kindgerecht und trotzdem fachlich fundiert. Information für die Kinder, nicht an ihnen vorbei.
Einen ganz anderen Weg verfolgt ein Projekt des Nürnberger Theaters Mummpitz. Ferdis Jazz-Puppet-Universe verbindet Puppentheater, schauspielerische Elemente und jazzige Live-Musik in einem Ereignis für die ganze Familie. Die Kinder dürfen sich auch aktiv einbringen, mitmachen. Termine bietet das Theater regelmäßig an. „Zwar steht hier nicht die Klassik im Vordergrund“, so Jazz-Bassist Ferdiand Roscher, „baut möglicherweise aber eine Brücke dazu.“ Viele Musikerinnen und Musiker, die sich aktiv bei solchen Projekten beteiligen, sehen die Art der Musik, mit denen man den Nachwuchs in Berührung bringt, gar nicht so sehr entscheidend, denn jeder Musikmoment weckt bestenfalls die Neugier auch auf anderes.
Die Feuchtwanger Sopranistin Christiane Karg hat mit „be part of it“ ein eigenes musikpädagogisches Projekt, im Rahmen ihrer Konzertreihe KunstKlang entwickelt. Es richtet sich an ältere Jugendliche, aber gleichermaßen auch schon an die Kleinsten. „Singen in KiTas“ ist hier das Motto. Die Sängerin, selbst Mutter kleiner Kinder, betont dabei immer wieder, dass die Begegnung mit Musik nicht früh genug anfangen kann. Sofern es möglich ist, stellt Karg bei ihren Konzerten oft auch ein Kontingent an Karten zur Verfügung, um jungen Musikfans, die es sich sonst nicht leisten könnten, den Konzertbesuch zu ermöglichen. Die Vielfalt der unterschiedlichen Veranstaltungen kann zunächst verwirren, zudem die Formate oft auch recht unübersichtlich beworben, dadurch schwer zu finden sind.
Wer sich aber auf den Weg macht, kann wahre Schätze entdecken. Und das müssen nicht immer nur Angebote großer Veranstalter sein. Für Eltern bedeutet das, sich erst im Dschungel der Angebote zurecht finden zu müssen. Das setzt allerdings die Bereitschaft der Erwachsenen, aber auch die finanziellen Mittel voraus, die anfallenden Kosten für Tickets tragen zu können. Dem gegenüber stehen Angebote, die im Rahmen des Schulalltages für die Eltern kostenfrei stattfinden können. Viele Projekte sowie das Engagement einzelner, bleiben oft nur kleine Bausteine im großen Feld der Musikvermittlung. Breitenwirkung haben diese, oft nur lokal angebotenen Beispiele eher nicht. Große Bedeutung haben sie dennoch. Unterschätzen darf man aber auch nie, wie begeisterte Kinder Gleichaltrige oder auch Eltern mitziehen können. Frank Dupree sieht hier auch Politik und Kultusbehörden gefordert, da die Wertschätzung von Musik und künstlerischen Bereichen vielfach sehr schwankend sein kann. Ein wenig Glückssache scheint es auch zu sein, ob man auf engagierte Lehrkräfte trifft, die in den Schulen Kinder, Jugendliche und auch die Direktion lebendig für Musik begeistern können. Die Begegnung mit Musik, so der Pianist, präge für das ganze Leben, stärke die Persönlichkeit und auch das Vertrauen in eigene Fähigkeiten, auch, wenn sie nur Begleiter in der Freizeit sei. Die Basis müsse früh gelegt werden, bemerkt der Musiker, und auch für alle Kinder ohne Hürden zugängig sein. Die Politik erkenne die Bedeutung kultureller Belange noch zu wenig an, übersehe oft deren gesellschaftsrelevante Seite.