Kultur statt Bamberg
Tagesordnungspunkt „Kesselhaus“ abgesetzt
veröffentlicht am 29.04.2014 | Lesezeit: ca. 12 Min.
Man glaubt es kaum und schüttelt den Kopf: Punkt 9 der Tagungsordnung zur öffentlichen Sitzung des Finanzsenates am heutigen Dienstagnachmittag – Beginn im Großen Sitzungssaal ist um 16 Uhr – ist auf Wunsch des Oberbürgermeisters abgesetzt worden. Warum nur will man über die „Verwendung des alten Kesselhauses im früheren Krankenhaus als Ausstellungs- und Kunstraum“ nicht diskutieren? Hat da jemand, beispielsweise Felix Bertram, der Leiter des Finanzreferates, vielleicht aufgrund des feuchtkühlen Spätaprilwetters kalte Füße bekommen? Oder muss er erst noch seine Haus(halts)aufgaben machen?
Die bislang im Kesselhaus umgesetzten Ausstellungen, insgesamt etwas mehr als ein Dutzend, haben überregional, wenn nicht bundesweit, Anklang gefunden und die Eignung des Gebäudes als Kunstraum aufs schönste vor Augen geführt. Wenn man allerdings Scheuklappen auf denselben trägt, fällt der ungetrübte und unvoreingenommene Blick nicht eben leicht.
Die moderne, die zeitgenössische, die Kunst von heute braucht in Bamberg, auch über das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia hinaus, wo sie das bisweilen hat, dringend ein Zuhause. Zumal Bamberg sich ja rühmt, eine Kulturstadt zu sein. Statt Kultur aber wird derzeit ein Trauerspiel geboten. Von Lessing stammt es leider nicht.
Dr. Ulrich Kahle, der Vorstandssprecher des Vereins Kunstraum JETZT! e.V., hat allen Mitgliedern des Finanzsenats, allen Stadträtinnen und Stadträten den folgenden, auf den 22. April datierten Brief zukommen lassen:
Der Kultursenat der Stadt Bamberg hat sich in seiner letzten Sitzung am 20.3.2014 noch einmal ausführlicher mit dem Thema „Verwendung des alten Kesselhauses … als Ausstellungs- und Kunstraum“ beschäftigt (Sitzungsvorlage V0/2014/0752-45). Er hat einstimmig beschlossen, die bauliche Ertüchtigung des ehemaligen Kesselhauses entsprechend dem Gutachten der LGA Nürnberg vom 18.12.2013 Var.2 zu begrüßen und dem Finanzsenat empfohlen, die erforderlichen Mittel für diese investive Maßnahme zur Verfügung zu stellen.
Die Sache ist nun auf die kommende letzte Sitzung am 29.4.2014 vertagt, da laut Stellungnahme des Finanzreferats die Haushaltssatzung 2014 wegen ausstehender Genehmigung durch die Rechtsaufsicht bei der Regierung von Oberfranken noch nicht rechtskräftig sei und in der sog. „haushaltslosen“ Zeit neue Maßnahmen nur bei rechtlicher Verpflichtung möglich seien. Zudem hält das Referat die beabsichtigte investive Maßnahme für eine „freiwillige Leistung der Stadt“, der die Genehmigung „aufgrund der der Erfahrungen von 2013“ wohl doch versagt werden würde.
Der Förderverein Kunstraum JETZT! e.V. hat sich mit den grundlegenden Gutachten und Sitzungsvorlagen auseinandergesetzt und gibt folgendes zu bedenken:
Seit mehr als einem Jahrhundert suchen die kunstinteressierten Kreise der Bamberger Bürgerschaft, gemeinsam mit dem vor 190 Jahren gegründeten Kunstverein nach einem festen Ort für die Präsentation zeitgenössischer Kunst. Neben der Errichtung eines Neubaus als oberstem Ideal stand und steht ebenso die geschickte Umnutzung vorhandener Raumressourcen im Blick. Diese müssen allerdings ausreichend Raum bieten und zugleich so flexibel sein, dass sie den vielfältigen Anforderungen unterschiedlichster Kunst- und Ausstellungsformen genügen.
Die seit den ausgehenden 80er Jahren zeitweilig zur Verfügung gestellte Stadtgalerie Villa Dessauer erwies sich für viele Ausstellungen zeitgenössischer Kunst als nur bedingt geeignet: denkmalbedingt wenig flexibles Raumangebot, wenig durchgängige Hängeflächen und mangelnde Barrierefreiheit schränken die Ausstellungsmöglichkeiten moderner Kunst stark ein.
Die Suche nach besser geeigneten Alternativen führte endlich zu dem seit der Eröffnung des Klinikums leer stehenden Kesselhaus des ansonsten von der Stadt zu kaum mehr als zu Lagerzwecken genutzten Funktionsgebäudes Untere Sandstraße 42. Die dort gegebenen etwa 260 qm Nutzflächen des immerhin gut 1200 qm großen eindrucksvollen Industriegebäudes, von Stadtbaurat Hans Rothenburger 1960 mit sparsamen Mitteln entworfen und bis heute ein qualitätvolles Zeugnis seiner Zeit, motivierten die in der Initiative Kesselhaus zusammengeschlossenen Institutionen Kunstverein, Architekturtreff Bamberg und BBK Oberfranken zur zunächst probeweisen Herrichtung zu Ausstellungszwecken- und dies ausschließlich in Eigenleistung und mit Aufwendung von rund 25.000 €. Die bis 2013 dort bislang realisierten 15 Ausstellungen haben erwiesen, dass diese Umnutzung sich als Volltreffer herausgestellt hat, denn anders als der „klassische“ Museums- oder Galerieraum findet sich hier genau die angestrebte Flexibilität, nach der so lange gesucht worden war.
Der eigentümliche, besondere Charakter, der diesem leer stehenden Industrieraum zu Eigen ist, hat seither Tausende Besucher von nah und fern fasziniert und für sich eingenommen. Ungeahnt rasch hat er das Interesse regionaler, überregional und international renommierter Künstler geweckt, angesichts dieses Ambientes auch in Bamberg endlich ausstellen zu können – über ein halbes hundert Anfragen mussten umständehalber schon abgelehnt werden. Die Begeisterung der interessierten Bamberger Bürgerschaft, von Jung und Alt und vieler auswärtiger Bamberg-Besucher hat längst eine eigene Dynamik entwickelt: ursprünglich auf nicht mehr als 3 Ausstellungen pro Jahr angelegt (die Räume sind nicht heizbar), hat eben diese Begeisterung von Publikum, Initiatoren und einer Vielzahl ehrenamtlicher Unterstützer die Zahl der Veranstaltungen auf 5 pro Jahr anwachsen lassen und die Eignung von Gebäude und Standort bestens unter Beweis gestellt. Die ausschließlich auf Privatengagement gründende Umnutzung des Kesselhauses zu dem Bamberger Kunstraum für aktuelle Kunst hat sich als der erste richtige Schritt in die richtige Richtung seit mehr als 100 Jahren vergeblicher Bemühungen erwiesen und verdient nach der nicht zu übersehenden positiven Resonanz in der Öffentlichkeit nun auch die uneingeschränkte Aufmerksamkeit von Stadtrat und Stadtverwaltung. Nicht zuletzt deshalb mögen wir auch nicht länger von einem Provisorium reden – zumal in Provisorien niemand gerne investiert!
Ganze Regionen, wie beispielhaft das einst rein montan geprägte, seit über 3 Jahrzehnten konversionsgeübte Ruhrgebiet und viele große und kleine Städte, haben aus der vielfältig betriebenen Umnutzung von vernachlässigtem Industrieraum eine eigene Kultur gemacht – erwähnt sei als eine der Bamberger Situation ähnliche Variante das vielfältig kulturell genutzte „Kesselhaus“ der Stadt Weil am Rhein. Kann und darf das, was sich andernorts als großer Erfolg jenseits der ohnehin erfolgreichen, aber ungleich kostspieligeren Museumsneubauten des letzten Jahrzehnts erwiesen hat, in Bamberg nicht weitergesponnen werden? Wir erinnern an das einst zum Abriss vorgesehene weil ungewollte Alte E-Werk, auf dessen Erhaltung und Umnutzung diese Stadt seit langem stolz ist.
Die sich als sinnvoll und zielführend erwiesene Neunutzung des Kesselhauses als Kunstraum, gar ein unschwer möglicher Umbau des gesamten Funktionsgebäudes zur Kunsthalle wertet den Standort „Leinritt“ auf und macht ihn gemeinsam mit der Konzert- und Kongresshalle, dem umgenutzten Ziegelbau der Kalliko und der vorhandenen Hotellandschaft zu einem weiteren stadtnahen, fußläufig erreichbaren und damit touristenfreundlichen Kulturpunkt unterhalb von Dom- und Michaelsberg. Dieser Teil der Regnitz würde so zu einer Kulturmeile. Die von Oberbürgermeister Starke am 3. April 2014 bei der IG InteresSand zu Protokoll gegebene Alternative von Nichtinvestition, Verfall und Abbruch ohne die geringste konkrete Nachfolgenutzungsvorstellung zerstört sanierbare Bausubstanz, vielfältiges privates bürgerschaftliches Engagement und eine alles andere als unrealistische städtebauliche Idee, ohne all dem mehr als den lakonischen Verweis auf eventuelle Alternativen irgendwann in den Konversionsflächen von Bamberg-Ost entgegenzusetzen! Die Förderung von Kunst und Kultur im Grundgesetz festzuschreiben war das Ziel einer eigenen Enquetekommission der letzten Bundesregierung! Kunst der Gegenwart braucht zentrumsnahe, fußläufig erreichbare und damit touristenfreundliche Standorte, gerade in einer Welterbestadt!
Abschließend gestatten Sie noch einige Erläuterungen und Richtigstellungen zu den Informationen der Stadtverwaltung:
Die vom städtischen Immobilienmanagement kommunizierte Auswertung der beiden von der Stadt Bamberg in Auftrag gegebenen Gutachten der LGA Nürnberg Nr. 94617823 vom 16.12.2013 (Variante 1: alleinige Herstellung Kesselhaus-Nutzung) und 18.12.2013 (Variante 2: Herstellung und Nutzung Lagerräume, Büro- und Galerie-Ausstellungsräume) kommt zu dem Ergebnis, dass sich „ohne öffentliche Zusatznutzung des Kesselhauses für kulturelle Zwecke“ die weitere Nutzung aller übrigen Räume (ca. 80% der Gesamtnutzfläche) im Rahmen des Bestandsschutzes aufrechterhalten lässt.
Diese Aussage ist NICHT richtig: auf Seite 6 des Gutachtens (Var.2) findet sich der fettgedruckte Hinweis der Gutachter, demzufolge „die Shedhallen, das Kesselhaus und die Büroräume mit der geplanten Nutzung (= außer Kesselhaus wie bisher) … nur dann weiterhin in Betrieb bleiben [dürfen], wenn die brandschutz- und bautechnischen Mängel beseitigt werden.“ Auf den Seiten 13 – 15 werden unter den Punkten 5.2.3 bis 5.2.9 mehr als zehn Einzelmaßnahmen aufgelistet, die allein zur Sicherstellung des Ist-Zustands der Shedhalle (d.h. ohne Kunstraum Kesselhaus) zwingend erforderlich sind – die Nutzung des Untergeschosses des ausschließlich städtisch genutzten Hallentrakts ist in Zukunft ohnehin untersagt (Hinweis Seite 15)!
Unter dem Strich bedeutet dies nichts anderes, dass die Stadt Bamberg, wenn Sie das Bild gestatten, von den Geistern, die sie selbst mit der Beauftragung des ersten Brandschutzgutachtens im Sommer 2013 rief, nun selbst eingeholt worden ist: ohne die im Rahmen des Bauunterhalts zwingend notwendige Instandsetzung und Ertüchtigung des Funktionsgebäudes Untere Sandstraße im Rahmen einer investiven Maßnahme des Bauunterhalts im Haushalt 2014 ist ungeachtet der kulturellen Nutzungsänderung des Kesselhauses selbst mit einem Kostenaufwand von mindestens 100.000 € jedwede Fortführung der gegenwärtigen Nutzung –Lagerraum für städtische Dienststellen, Spielmobil und Chapeau Claque – von Seiten der Gutachter der LGA schlicht untersagt. Die vom Immobilienmanagement herangezogene sog. Bestandsschutzregelung greift wie oben belegt nicht!
Sollten Sie an dieser Tatsache zweifeln, so brauchen Sie nur die beiden vorliegenden Gutachten wachen Auges selbst zu studieren.
Und noch ein Wort zur Verhältnismäßigkeit der erforderlichen Investition: Von Seiten der LGA Nürnberg wird der voraussichtliche Aufwand mit etwa 155.000 € beziffert. Diese Summe ist notwendig, um die gegenwärtige Nutzung für die Stadt und ihre gegenwärtigen Mitnutzer zu sichern und dabei auch die kulturelle Sondernutzung des Kesselhauses zu ermöglichen. Die von der Stadt unermüdlich ins Spiel gebrachte Befristung des Kulturbetriebs auf 5 Jahre ist aus unserer Sicht durch NICHTS zu rechtfertigen. Der zeitliche Horizont wird allein durch Schaffung eines adäquaten Kulturraumes bestimmt, im Kesselhaus selbst oder wo auch immer sich eine akzeptable Alternative anbietet.
Woher das Finanzreferat im Übrigen die Gewissheit her nimmt, es handele sich hier um eine freiwillige Leistung, bleibt ohne weitere detaillierte Begründung offen. Schließlich ist das Funktionsgebäude als Ganzes Eigentum der Krankenhausstiftung, welches die Stadt seit 1984 in Erbpacht auf 99 Jahre nutzt und folglich für den Unterhalt selbst zuständig ist. Auch die Stadt Bamberg kann sich nicht so ohne Weiteres der grundgesetzbewehrten Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 GG entziehen. Dies gilt für die öffentliche Hand ebenso wie für den Privateigentümer!
Die offensichtlich politisch gewollte Güterabwägung ist nun Ihnen selbst überlassen – die interessierte Öffentlichkeit wird zuschauen und das vielstimmige Bekenntnis vieler Stadträte aus fast allen Fraktionen zum Kesselhaus als tatsächlich sehr geeignetem Kulturstandort seit dem Herbst des vergangenen Jahres daran messen.
Dieser Brief geht mit gleicher Post an alle Mitglieder des Finanzsenats, an alle Stadträte und in die an unserem Anliegen interessierte Öffentlichkeit.
Für den Förderverein Kunstraum JETZT!
Dr. Ulrich Kahle
Sprecher des Vorstands