Vor gut zehn Jahren begann in Bamberg die Fortschreibung der unendlichen Geschichte des fehlenden Heimatortes für die bildende Kunst in der Weltkulturerbestadt mit dem jüngsten Kapitel mit der prägnanten Überschrift „Kesselhaus“. Die maßgeblichen Protagonisten Kunstverein Bamberg, Berufsverband Bildender Künstler (BBK) Oberfranken sowie der Architekturtreff Bamberg traten einmal mehr vor dem Hintergrund des Kunstraummangels in Erscheinung und beendeten und starteten gleichermaßen die Jahre lange Suche nach geeigneten Räumlichkeiten mit einem gezielten Blick auf das Kesselhaus. Der Teil des Funktionsgebäudes Kesselhaus und Wäscherei des Alten Krankenhauses behauptete, im Jahre langen, kaum genutzten Dornröschenschlaf, seinen prominenten Platz am nördlichen Eingangstor der Altstadt.
Dem theoretischen Ziel, dem Einzug in die Räumlichkeiten, eigens für zeitgenössischen Ausstellungsbetrieb, stand viel praktische Arbeit gegenüber. Einerseits ein stattlicher Renovierungsaufwand des großen Raumes mit Industriecharme, dem man ihm nicht nehmen wollte. Zum anderen die politische Überzeugungsarbeit, den Raum nutzen zu dürfen, wenigstens in den warmen Monaten. An eine Heizung für ganzjährigen Betrieb hatte sich niemand auch nur denken gewagt. Trotz dass der damalige Baureferent der Stadt Bamberg im Reigen der Initiativen noch persönlich den „Schutt“ aus dem Raum schaufelte, war der Weg zur Ertüchtigung von Teilen des Gebäudes steinig geblieben und zog sich lange hin. Überflüssige Rohrleitungsreste waren abzuflexen, Fundamentreste als Stolperfallen im Raum zu beseitigen, eine Fülle von Löchern im Boden auszubessern, einige Wände zu streichen, für eine erneuerte funktionsfähige Elektroinstallation zu sorgen. Es brauchte Geländer, eine größere Fluchttür zur Sandstraße und anfänglich half eine provisorische Beleuchtung vermittels gespendeter Baustrahler. Nach monatelanger Arbeit begannen ab 2011 erste Aktivitäten und entstand sukzessive ein mehr oder weniger geregelter Ausstellungsbetrieb im mit hoher ehrenamtlicher Kraft ertüchtigten Kesselhaus. Dieser stand jedoch schneller vor dem Aus, als er Fahrt aufnehmen konnte. Im Sommer 2013, während der laufenden Ausstellungen des BBK und des Kunstvereins, der damals Arbeiten von Tobias Lehner zeigte, erfolgte zunächst eine Teilsperrung durch das städtische Immobilienmanagement, die schließlich kurz darauf „bis auf Weiteres“ in eine komplette Nutzungsuntersagung mündete. Dem Begonnenen drohte ein jähes Ende. Doch nahm der Wind in den Segeln der Kunstverfechter zu. Sie formierten am 30.09.2013 mit über 90 Interessenten bei der Gründungsversammlung des neuen Vereins „Kunstraum JETZT!“ eine Vereinigung, die sich folgendes zum Ziel machte:
„…die Beschaffung und Bereitstellung eines Raumes zur Präsentation zeitgenössischer Bildender Kunst, die Bündelung und optimale Nutzung vorhandener Ressourcen im Bereich der zeitgenössischen Bildenden Kunst, qualitativ hochwertige Ausstellungen regionaler und internationaler Künstler in geeigneten Räumlichkeiten zu ermöglichen.“ (Satzung) Dr. Ulrich Kahle, der gewählte Vorstandssprecher, sein gesamter Vorstand und der neu gegründete Verein entgegneten somit dem drohenden Verlust des lieb gewonnenen Kunstraums und wiederholten und professionalisierten das Bemühen zur Ermöglichung der weiterführenden Nutzung des Kesselhauses im Sinne der Bildenden Kunst für Bamberg. Im Sommer 2015 schließlich gelang dann immerhin eine provisorische Wiedereröffnung des Kesselhauses als Ausstellungsort und eine neue Nutzungsvereinbarung auf fünf Jahre, die 2021/22 nochmals bis 2026 verlängert wurde. Aus dem Zwischennutzungs-Experiment wurde ein regelmäßig nutzbarer Kunstraum, der nun seit über 10 Jahren existiert.
Parallel zum wiederaufgenommenen Ausstellungsbetrieb durch Kunstverein und BBK Oberfranken konzentrierte sich der Kunstraum JETZT! auf eine konzeptionelle Diskussion zur Zukunft des gesamten Gebäudes als Kunst- und Kulturraum Kesselhaus und erprobte in Kooperationen Modelle kultureller Nutzung, unter anderem unter der Regie des Franz KAfkA e.V., der in den Räumlichkeiten testweise ein Musikfestival initiierte und so neue Publikumskreise für das Kunst- und Kulturhaus in spe erschloss.
Die ursprüngliche Zielsetzung blieb stets Programm. Der gesamte Gebäudekomplex soll im Schwerpunkt zum Kunsthaus werden und sich nach Möglichkeit und Verträglichkeit weiteren kulturellen Genres öffnen. Neben dem Kesselraum als solchen stand von Beginn an der Bereich unter den Sheddach-Hallen im Fokus der Kunstinitiativen, die darin eine überfällige Erweiterung des Ausstellungsraums Kesselhaus zum Kunsthaus Kesselhaus sehen und vielversprechende Möglichkeiten vor Augen haben und in breiter Ideenskizzierung durch die hiesige Künstler:Innenwelt auch führen, wie an den Außenwänden des Kesselhauses derzeit unschwer zu erkennen ist. Dem historischen Welterbe einen Raum für Gegenwartskunst zu schenken und ihm so neue Lebendigkeit einzuhauchen. So die Theorie. Dem gestiegenen Interesse an der Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst gerecht werden. Der Kunstverein Bamberg, in diesem Jahr 200 Jahre alt geworden, kennt diese Wünsche seit langer Zeit. Mit seinem stolzen Alter blickt er auf die zehn Jahre „JETZT!“ des Kunstraum-Vereins erfahren und leiderprobt herab und bleibt gleichzeitig Zugpferd dieser Bewegung. Seit bald einem Jahrhundert suchen nun die kunstinteressierten Kreise der Bürgerschaft nach einem festen Ort für die Präsentation zeitgenössischer Kunst – bislang leider vergeblich. Ähnlich wie in der Frage zentraler Kulturräume, eines längst überfälligen Kulturzentrums für Bamberg, wurden viele Orte gesichtet und in die Diskussion gebracht, fand jedoch bisher keiner die entsprechende politische Unterstützung. Kulturzentrum und Kunsthaus bleiben lang artikulierte Desiderate der Kulturstadt Bamberg und tun sich in Ideenform deutlich schwerer als die großen Institutionen in ihrer Intention ihren Besitzstand zu bewahren. Progressives Umdenken im Kulturbereich ist generell ein selten verbreitetes Phänomen. Stößt in Bamberg allerdings, das beweisen die genannten blinden Flecken der Kulturlandschaft, auf langatmigen, starren Widerstand. In kaum einer anderen Stadt gingen, und das trotz Nähe zur Vorreiterstadt Nürnberg, soziokulturelle Errungenschaften und Orte für zeitgenössische Kunst, so schlecht in die Köpfe der Entscheidungsträger, taten sich so schwer in den politischen Agenden. Und das parteiübergreifend. Während nicht nur in Nürnberg die Sozialdemokratie auf diesem Feld mächtig Anschub leistete, bewegte sie sich in Bamberg auf völlig anderen Pfaden. Nahm die Kulturentwicklung seit Ende der 70er und vor allem ab den 80er Jahren und auch in den letzten Legislaturperioden hier einen völlig anderen Verlauf. Für das Desiderat Kunsthaus immerhin hat der Stadtrat die Mittel für eine Machbarkeitsstudie Kunst- und Kulturhaus Kesselhaus bewilligt, deren Ausschreibung seit März läuft. Mit den Ergebnissen der Studie, die für das Kesselhaus ein Raumprogramm für Kunst, Kultur, Kulturinformation und Gastronomie entwerfen soll, um Kernaussagen zur möglichen Nutzung zu treffen und tiefer gehende Studien vorzubereiten, ist im November zu rechnen. Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum des Kunstraum JETZT! also, das im September gefeiert wird, beflügelt das Kulturreferat der Stadt Bamberg die Gedanken zur Konzeptionsfindung und kulturellen Nutzung des Gebäudes. Die Suche nach Räumen geht weiter. Auf anderem Niveau. So die berechtigte Hoffnung aller Kunststadt-Förderer und -Fans. Dass sich JETZT! endlich etwas in die richtige Richtung tut.
Aktuelle Ausstellung des BBK Oberfranken im Kesselhaus:
25.3.2023 - 7.5.2023
"ALL THAT IS SOLID MELTS INTO AIR ALL THAT IS HOLY IS PROFANED"
JULIA TIEFENBACH
Der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken präsentiert sein jüngstes Mitglied, Julia Tiefenbach aus Hof, mit einer Einzelausstellung im Kunstraum Kesselhaus, Bamberg. Sie hat an der Kunsthochschule Halle, Burg Giebichenstein studiert und zeigt Serien von Ölpastell-Zeichnungen und Objekte aus Holz und Glas. Anhand der Exponate kann das Publikum ihren Arbeitsprozess bei der Aneignung, Bearbeitung und Umgestaltung von funktionalen Alltagsgegenständen in autonome Raumobjekte nachvollziehen. Diese stellt sie in Beziehung zu den architektonischen Relikten der früheren Nutzung der Ausstellungshalle als Heizungsraum des alten Krankenhauses. Sie entdeckt und erforscht mögliche skulpturale Qualitäten von Gegenständen, die wir nur wegen ihres Gebrauchswertes beachten und deshalb als banal betrachten. Deren Formen und räumliche Strukturen ertastet sie aus der Erinnerung mit freien Zeichnungen, die die geraden Linien der funktionalen Gegenstände durch die Lebendigkeit und Vorstellungsgabe der künstlerischen Hand in einen neuen Zusammenhang bringen. Die Zeichnungen, die im Kesselhaus in größerer Anzahl zu sehen sind, bilden dann die Grundlage für äußerst präzise gebaute Objekte ohne Funktion, die wir wegen ihrer Formen und des verwendeten Materials betrachten. Das Kesselhaus ist dafür besonders geeignet, weil es selbst diese Transformation durchlaufen hat und weiter durchläuft: Alle seine Bauteile wurden für einen bestimmten Zweck geschaffen und präsentieren sich uns heute als reine Form, die bereit steht, von unserer Phantasie mit gewandelter Bedeutung aufgeladen und für neue Zwecke genutzt zu werden. Ein Gebäude, das in der Lage ist, die Phantasie von Kunstproduzierenden und Kunstbetrachtenden gleichermaßen anzuregen, ist der ideale Ort für Bambergs zukünftige Entwicklungen auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst.
Julia Tiefenbach sieht in ihrer Arbeit Parallelen zum Verhältnis des Individuums in den gesellschaftlichen Zwängen des Kapitalismus. Die Erhöhung der Erfolgschancen durch Effizienzsteigerung erfordert vom Menschen einen permanenten Prozess der Selbstoptimierung, in dem die eigene Person immer mehr zum funktionalen Objekt unter fremdbestimmten Bedingungen wird. "Form follows function", dieser berühmte Spruch des amerikanischen Architekten Louis Sullivan lässt sich auch auf den Menschen selbst anwenden. In unseren Selbstformungsbemühungen folgen wir den Anforderungen an unsere gesellschaftliche Funktion. Wo uns das nicht gelingt, haben wir ein schlechtes Gewissen. Die Formung unserer Persönlichkeit teilweise wieder davon zu trennen und eigenständig zu entwickeln, kann zum Beispiel in künstlerischer Arbeit versucht werden. Dazu bietet Julia Tiefenbach am 29. April einen Zeichenworkshop für Kinder an und am 30. April einen für Erwachsene. In denen das Gebäude des Kesselhauses erst gemeinsam erkundet wird und dann als Motivgeber für die zeichnerische Auseinandersetzung mit Ölpastellkreiden dient. Beginn ist jeweils um 14 Uhr.
Öffnungszeiten: Freitag 15:00 Uhr bis 18:00 Uhr - Samstag, Sonntag und feiertags: 13:00 bis 18:00 Uhr
Eintritt frei, Spenden erwünscht