Art5drei setzt in dieser Ausgabe eine Artikelserie fort, die sich mit der architektonischen Entwicklung fränkischer Städte nach dem II. Weltkrieg befasst. Neben einer bilanzierenden Rückschau, die auf die Bewertung der baulichen, ästhetischen und stadträumlichen Qualitäten der Architektur dieser Zeit zielt, sollen auch Fragen nach den Optionen für die Zukunft gestellt werden. Zu Wort kommen Fachleute wie z.B. Architekten, Baureferenten, Hochschullehrer und Städteplaner, aber auch Politiker.
Der Schwerpunkt liegt dabei zunächst auf Oberfranken. Nach den Etappen in Bamberg und Hof geht es in dieser Ausgabe nach Bayreuth. Art5drei unterhielt sich mit Hans-Dieter Striedl, dem Baureferenten der Stadt Bayreuth.
Herr Striedl, hat die Architektur der 50er und 60er Jahre, die ja unter dem Zeitdruck schnellen Wiederaufbaues stand, oder vielleicht auch der 70er Jahre, in Bayreuth bemerkenswerte Resultate hinterlassen? Gibt es aus dieser Zeit qualitätvolle Beispiele?
HDS: Wie aus jeder Zeitphase gibt es selbstverständlich auch aus den 50er und 60er Jahren Beispiele für qualitativ hochwertige Gebäude. Aus Sicht des Denkmalschutzes – für den ich allerdings nicht zuständig bin – stellt sich dann die Frage, wann ein Gebäude als ein zu bewahrendes Zeugnis für die jeweilige Epoche schutzbedürftig ist. Dies hat zunächst nichts mit der „Schönheit“ der Gebäude zu tun. Wie leicht zu verstehen ist, nimmt die Schutzbedürftigkeit mit dem Alter eher zu, da die schützenswerten Gebäude seltener und weniger gut reproduzierbar sind.
Stehen solche Gebäude in Bayreuth unter Denkmalschutz oder gilt der nur für sehr altes Gemäuer?
HDS: In Bayreuth stehen meines Wissens bisher zwei Kirchenbauten aus den Jahren 1953-1956 (Christuskirche) und 1959-1963 (Hedwigskirche) unter Denkmalschutz.
Gibt es bezüglich dieses Zeitraumes auch ein „Sündenregister“ bzw. bedauert man heute aus der Retrospektive manch unnötigen Abriss oder misslungenen Neubau?
HDS: Ein „Register“ gibt es nicht, aber um das eine oder andere mittlerweile verschwundene Gebäude ist es sicherlich schade. Als Beispiel mag hier eine Tankstelle unterhalb des Festspielhügels dienen, die noch heute den meisten Bayreuthern aufgrund ihrer Architektur im Gedächtnis ist, aber in den 80er Jahren einer Straßenplanung weichen musste. Allerdings ist auch immer zu beachten, welche Gründe in der Abwägung dazu geführt haben, das jeweilige Gebäude abzureißen.
Wie stehen Sie zur Frage der Rekonstruktion von Verlorengegangenem? Ist das oft von der Bürgerschaft gewünschte historisierende Bauen im Sinne einer „Wohlfühlarchitektur“ für Sie denkbar oder kommen in Bayreuth nur konsequent zeitgenössische Baustile in Frage?
HDS: Ich halte wenig davon, so zu tun, als gäbe es keinen Verlust von Bausubstanz, wenn man versucht, Gebäude zu bauen, die vorgeben, alt zu sein und es doch wegen ihrer Grundrisse, technischen Ausstattung etc. nicht sein können. Trotzdem kann es in einzelnen Fällen gerechtfertigt sein. Warum sollte es legitim sein, z.B. Teile einer historischen Stuckdecke zu rekonstruieren, aber illegitim, verlorene Teil eines wertvollen städtebaulichen Ensembles zu ergänzen. Ich bin jedoch auch in solchen Fällen dafür, diese Ergänzungen so zu gestalten, dass sie zwar „selbstverständlich“ an ihrem Ort stehen, aber zugleich erkennen lassen, dass sie Gebäude von heute sind. Darüber hinaus gibt es m.E. besondere Fälle, in denen eine Rekonstruktion wegen der identitätsstiftenden Funktion für die Bevölkerung sinnvoll ist. Ein Beispiel hierfür ist das Alte Schloss in Bayreuth. Nach den Bombenangriffen von 1945 waren vom historischen Gebäude nur noch die Reste der Außenmauern stehen geblieben. Als Keimzelle Bayreuths wurde das Gebäude nach dem Krieg restauriert und bildet heute für Touristen wie für Einheimische einen wichtigen Bezugspunkt.
Wie müssen Architektur und Städteplanung auf die stagnierenden bzw. in randständigen Lagen wie Oberfranken sogar sinkenden Bevölkerungszahlen reagieren?
HDS: Reaktionen der Architektur auf die Bevölkerungsentwicklung halte ich für weniger erforderlich, wenn ich von Themen wie Barrierefreiheit etc. absehe. Allerdings bedauere ich, dass es nicht gelingt, regionale Baustile zu entwickeln und zu bewahren, die ja ein Teil der Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt sein könnten. Durch Moden schauen sich heute die Neubaugebiete von Garmisch bis Neumünster zum Verwechseln ähnlich. Dies wird nicht zuletzt durch eine Politk gefördert, die zwar die Pflege der Baukultur propagiert, aber gleichzeitig den Einfluss auf die Gestaltung von Gebäuden systematisch aus der Gesetzgebung eliminiert. Für die Stadtplanung ist es hingegen ein wichtiges Thema, insbesondere im Hinblick auf die öffentliche und private Infrastruktur.
Welche urbanen Visionen hegen Sie für Bayreuth?
HDS: Bayreuth hat im Vergleich zu vielen Städten in ähnlichen Lagen einen großen Vorteil durch die Universität. In demographischer Hinsicht hat Bayreuth einen „Bauch“ in der Altersgruppe der 20-30Jährigen durch die ca. 13000 Studenten, die aber die Stadt in der Regel nach dem Studium wieder verlassen. Durch die Ansiedlung neuer Fakultäten, Kompetenzzentren und Forschungseinrichtungen legt Bayreuth derzeit den Grundstein für die Schaffung weiterer Arbeitsplätze, was schließlich die Grundvoraussetzung dafür ist, Bevölkerung in Stadt und Region zu halten. Gleichzeitig versuchen wir die Wohnqualität – die ja aufgrund der topographischen Lage und der kulturellen Bedeutung schon hoch ist – noch zu steigern, indem wir überschaubare Wohnquartiere schaffen und durch Steuerung der Infrastruktur des Einzelhandels eine wohnortnahe Versorgung garantieren.
Christuskirche Bayreuth, Foto © El Grafo, wikimedia commons